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Im Wald Rehe füttern oder baden gehen?

Interdisziplinäre Studie erforscht den Einsatz von VR-Brillen während der Chemotherapie.

Chemotherapien sind für Krebspatientinnen und -patienten sehr belastend, psychisch und körperlich: Angst, Nervosität und Übelkeit verstärken sich gegenseitig. Angeschlossen an Infusionsschläuche und Geräte fühlen sich viele Menschen in dieser Situation fremdbestimmt. In der Ambulanz des Westdeutschen Tumorzentrums in Essen-Huttrop wird derzeit der Einsatz von Virtual-Reality-Brillen (VR-Brillen) bei Patientinnen und Patienten mit gastrointestinalen Tumoren erprobt und wissenschaftlich begleitet. Die Idee dazu hatte Monja Gerigk, Leiterin des Instituts für PatientenErleben (IPE) an der Universitätsmedizin Essen. Ihr Anliegen: Patientinnen und Patienten zu entlasten, ihnen virtuell die Möglichkeit zu geben, eine Wahl zu treffen, wo sie die nächsten Stunden lieber verbringen möchten.

Sich an einen anderen Ort beamen

Mit der VR-Brille können Krebspatientinnen und -patienten der belastenden Situation am Tropf entfliehen, sie können an den Strand gehen, im Wald Rehe füttern oder mit den Füßen in einen kühlen Bergsee tauchen. Wer schon einmal eine VR-Brille aufhatte, kennt den erstaunlichen Effekt, sich tatsächlich an einem ganz anderen Ort zu wähnen, als man eigentlich ist. Diesen Effekt macht sich die Onkologie zum Wohle ihrer Patientinnen und Patienten zunutze.

Um ihre Idee umsetzen zu können, brauchte Monja Gerigk Partner aus der Universitätsmedizin Essen. Diese fand sie mit Prof. Dr. Dr. Jan Egger vom Institut für Künstliche Intelligenz in der Medizin (IKIM) und Prof. Dr. Stefan Kasper-Virchow, Ärztlicher Leiter der ambulanten Medizinischen Onkologie am Universitätsklinikum Essen. Monja Gerigk: „Es macht immer wieder Mut, wie Expertinnen und Experten aus unterschiedlichsten Bereichen der Universitätsmedizin Essen lösungsorientiert und hierarchiefrei mit unserem Team vom Institut für PatientenErleben zusammenarbeiten.“ Denn alle verbindet ein Ziel: den Menschen, die sich in einer schweren Lebenssituation befinden, zu helfen, sie zu heilen, Leiden zu lindern oder mögliche neue Heil- und Behandlungsmethoden zu erforschen.

Katrin Schormann, Doktorandin am IKIM, und Slobodan Jovi, Projektkoordinator beim Institut für Patientenerleben, weisen einen Patienten in die Anwendung der VR-Brille ein.

Forschungsprojekt mit 57 Probanden

Stefan Kasper-Virchow: „Der Vorschlag von Monja Gerigk hat mich sofort interessiert, weil ich großes Potenzial sah, Menschen in der onkologischen Ambulanz die Chemotherapie-Einheiten zu erleichtern. Um dies aber auch mit validen Daten zu belegen, habe ich ein Forschungsprojekt dazu angestoßen.“ In Essen-Huttrop betreibt das Westdeutsche Tumorzentrum (WTZ) in unmittelbarer Nähe zum Elisabeth-Krankenhaus eine zweite onkologische Ambulanz. Diese Ambulanz mit acht Therapiestühlen ist weitaus kleiner als die am WTZ auf dem Campus in Holsterhausen und bietet so das ideale Setting für den Feldversuch mit zwei VR-Brillen.

In einer begleitenden Studie mit 57 Patientinnen und Patienten untersucht aktuell ein interdisziplinäres Team vom Westdeutschen Tumorzentrum (WTZ), vom Institut für PatientenErleben (IPE), vom Zentrum für virtuelle und erweiterte Realität in der Medizin (ZvRM) und vom Institut für Künstliche Intelligenz in der Medizin (IKIM), ob der Einsatz einer VR-Brille während einer Chemotherapie die gewünschten Entspannungseffekte bei den Patientinnen und Patienten auslöst. Zudem wird der Einfluss auf die Akutverträglichkeit der Chemotherapie mit Hilfe eines strukturierten Fragebogens erfasst.

Elektronische Datenerfassung

Jan Egger: „Für unsere Studie nutzen wir die Meta Quest 3, eine fortschrittliche VR-Brille, und die App Nature Treks VR von Greener Games. Die VR-App bietet eine lebendige und interaktive Umgebung, die sich perfekt dazu eignet, sich zu entspannen und die Schönheit der Natur zu genießen.“ Die App für einen elektronischen Erfassungsbogen mit angeschlossener Datenbank hat das Team vom Zentrum für virtuelle Realität programmiert. So können Slobodan Jovic, Projektkoordinator beim Institut für PatientenErleben, und Katrin Schormann, Doktorandin am IKIM, die Einweisung und Befragungen der Patientinnen und Patienten gemeinsam betreuen, alle Daten mit dem Tablet elektronisch erfassen, und die Kombination mit den erhobenen Vital-Parametern wie Blutdruck oder Herzfrequenz erfolgt automatisiert.

Bis zum Sommer 2025 werden alle 57 Patientinnen und Patienten der Studiengruppe erfasst sein. Eine Zwischenbilanz zeigt, dass bisher bei allen Patientinnen und Patienten deutliche Entspannungseffekte zu verzeichnen sind, unabhängig vom Alter. Die Probanden sind im Alter zwischen 38 und 88 Jahren. „Selbst die älteste Patientin hat großen Spaß daran, die Brille zu nutzen“, berichtet Stefan Kasper-Virchow. Bisher hat keine Patientin, kein Patient die virtuellen Ausflüge abgebrochen, Motion-Sickness ist nicht aufgetreten, es ist also niemand se(h)e-krank geworden.

Aussagen zu weiteren Wirkungen können die Forschenden erst nach Abschluss der Studie machen.