„Den Pflegefachpersonen besser zuhören …“

Interview mit Pflege-Direktorin Andrea Schmidt-Rumposch

Im Auftrag der Stiftung Universitätsmedizin Essen haben die opta data Zukunfts-Stiftung und das Institut für Zukunftspsychologie und Zukunftsmanagement (IZZ) der Sigmund Freud Privat-Universität (Wien) von 2021 bis 2022 mehr als 200 Pflegekräfte der Universitätsmedizin Essen interviewt. Was sind die wesentlichen Erkenntnisse der Studie „WeCare4us“?

Andrea Schmidt-Rumposch: Die Auswertung der Studie spiegelt natürlich die hohen Belastungen, die in der Pflege herrschen, und die im Laufe der Pandemie noch größer geworden sind. Die Studie hat uns veranlasst, noch einmal besser zuzuhören. Denn die Auswertung zeigt auch, dass unsere Mitarbeitenden ihren Beruf mit großem Engagement ausüben und viele Ideen haben, wie Pflege besser gestaltet werden könnte. Zudem wurde deutlich, dass sie häufig Anerkennung und Respekt für ihre Leistungen vermissen.

Und welche Handlungsempfehlungen leiten Sie aus der Studie ab?

Andrea Schmidt-Rumposch: Das sind kurzfristig vor allem drei konkrete Punkte: Unsere Mitarbeitenden in der Pflege wünschen sich ein digitales Tool, über das sie ihre Dienstplanwünsche besser steuern können. Die Entwicklung eines solchen Tools haben wir in Auftrag gegeben und werden es noch im Laufe des Jahres 2023 einführen.

Unsere Pflegteams sind zum großen Teil international besetzt. Es ist ein Zeichen von großer Achtsamkeit untereinander, dass sich viele für die internationalen Kolleginnen und Kollegen mehr Sprachförderung wünschen. Wir werden den Mitarbeitenden, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, jetzt einen einjährigen berufsbegleitenden Kurs in medizinischer Fachsprache anbieten. Dieser Kurs wird von Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftlern sowie von Pflegewissenschaftlerinnen und Pflegewissenschaftlern begleitet. Zur Vertiefung werden wir eine kostenlose App bereitstellen.

Die Studie hat uns noch einmal deutlich vor Augen geführt, dass unsere Pflegefachpersonen konstruktive Ideen einbringen, wie die pflegerische Versorgung in Zukunft gestaltet werden kann, dass sie eine Vision von der Pflege der Zukunft haben. Da geht es nicht nur um die Verbesserung der eigenen Situation – um mehr Zeit am Patienten, mehr freie Zeit für sich selbst oder bessere Erholungsmöglichkeiten – da kommen häufig auch konkrete Vorschläge, wie zum Beispiel Abläufe verbessert werden oder welche digitalen Tools die Arbeit sinnvoll ergänzen können. Deshalb wollen wir ab 2023 einen Innovation Day etablieren, an dem solche Vorschläge vorgestellt und die besten Ideen prämiert werden. Der Innovation Day soll ein Event für alle Beschäftigten im Unternehmen werden.

Die Universitätsmedizin Essen wurde im Sommer 2022 rund 80 Tage lang bestreikt. Was bringt der nun ausgehandelte „Tarifvertrag Entlastung“ den Mitarbeitenden in der Pflege?

Wer in der Pflege einer nordrhein-westfälischen Uniklinik arbeitet, kann sich zukünftig sicher sein, dass es keine besseren Regelungen in anderen Krankenhäusern gibt. Mit dem Tarifvertrag Entlastung profitieren die Beschäftigten in der Pflege und in weiteren Bereichen von deutlich höheren Personalschlüsseln. Außerdem wurden für den neuen Tarifvertrag zusätzliche Entlastungstage ausgehandelt. Unseren Auszubildenden stehen zusätzliche Selbst-Lern-Tage in der Praxis zu. Ihnen wird zusätzliche Anleitungszeit gewidmet. Weiterhin gilt natürlich der Tarifvertrag der Länder, der Beschäftigten in der Pflege an einer Universitätsklinik eine Zulage – die sogenannte Universitätszulage –gewährt.

Die Unimedizin Essen sucht aktuell 300 neue Vollzeitpflegekräfte. Wie läuft das Recruting?

Durch den Tarifvertrag Entlastung verbessert sich unsere Position, neue Pflegekräfte zu gewinnen. Der Tarifvertrag wird aber auch erst dann seine volle Wirkung entfalten, wenn wir ausreichend neue Personen für die Pflege gewonnen haben werden. Wir sind mit unseren Personalvertretungen kontinuierlich im Gespräch, um gemeinsam Maßnahmen zu entwickeln, vor allem die Vorteile einer Tätigkeit hier in unseren Kliniken aufzeigen. Ein erstes Ergebnis ist die Kampagne „Ja, ich will“, mit der wir neue Pflegefachpersonen für die Universitätsmedizin gewinnen wollen. Link zu: https://jaichwill.ume.de

Einmal im Jahr vergibt der Bundesverband Pflegemanagement einen Award. Im Januar 2023 wurden Sie als Pflegemanagerin des Jahres ausgezeichnet …

Andrea Schmidt-Rumposch: Ich sehe es nicht als Auszeichnung für mich, es ist eine Prämierung unseres Teams – eine Auszeichnung für die pflegerische Versorgung und für die Profession Pflege an der Universitätsmedizin Essen. Und darüber freue ich mich sehr. Die Auszeichnung zeigt, dass wir eine Vision haben, dass wir uns weiterentwickeln und es uns gelingt, Verbesserungen im Alltag zu etablieren.

WeCare4us

In der Studie „WeCare4us“? wurden 200 Pflegefachpersonen an der Universitätsmedizin Essen befragt. 54,4 % der Befragten waren unter 40 Jahre alt, 46,4 % älter als 40 Jahre, davon 77 % Frauen. Mehrheitsmeinungen zu ausgewählten Themen:

Nachwuchs

23 % listen „Belastbarkeit“ als eine essenzielle Fähigkeit für den Nachwuchs auf.

Zukunft

24 % sehen die zu erwartenden medizinischen Kompetenzen und neue Verantwortungen als Belastung an.

Digitalisierung

36 % erwarten in Zukunft Überforderung und mehr Zeitaufwand durch zu komplexe Software und langsame Geräte.

Ausbildung

21 % geben bei der Frage nach Belastungsgrenzen die unzureichenden Fachkenntnisse des Nachwuchses durch die aktuelle Ausbildung an.

Kommunikation

56 % denken es braucht in Zukunft einen besseren interdisziplinären Austausch, Informationsfluss & Kommunikation.

Öffentlichkeit

29,3 % sehen die Entwicklung der Pflege in Zukunft positiv. Sie begrüßen, dass momentan überhaupt eine Diskussion um die Pflegeproblematik geführt wird.

Engagement

39 % lieferten konkrete Vorschläge, wie Digitalisierung, Arbeitsprozesse und Zusammenarbeit besser gestaltet werden könnten.