Universitätsmedizin Essen geht stark durch die Krise

Interview mit Thorsten Kaatze, kaufmännischer Direktor der Universitätsmedizin Essen

Nach knapp 80 Tagen Streik an der Universitätsmedizin Essen haben sich im Juli 2022 die Gewerkschaft Verdi und die sechs NRW-Unikliniken auf zentrale Punkte eines neuen Tarifvertrags geeinigt. Was sind die wesentlichen Punkte des Tarifvertrags Entlastung?

Der Tarifvertrag Entlastung bedeutet im Wesentlichen mehr Pflegekräfte pro Patient und das bedeutet mehr Zeit, die unsere Pflegefachpersonen mit den Patientinnen und Patienten verbringen können. Das ist besonders für uns als universitären Maximalversorger von Bedeutung. Denn wir versorgen eine große Anzahl an Schwerstkranken, die besondere Bedürfnisse haben. Bei Personalausfall, das heißt, wenn der Personalschlüssel mehrfach unterschritten wird, erhalten die betroffenen Pflegefachpersonen einen Belastungsausgleich durch zusätzliche freie Tage, die auch ausgezahlt werden können. Auszubildende und dual Studierende in der Pflege – auch Hebammen – werden nicht auf die Personalschlüssel angerechnet.

Der Streik hatte wesentliche Auswirkungen auf den Klinikbetrieb – welche finanziellen sind neben den medizinischen Belastungen entstanden?

Medizinische Ausfälle, die natürlich durch 80 Tage Streik zu verzeichnen sind, schlagen sich auch im finanziellen Ergebnis eines Krankenhauses nieder. Mit jedem Fall, den wir behandeln, erwirtschaften wir einen Erlös. Patientinnen und Patienten, die wir und die anderen Universitätsklinika aufgrund des Streiks nicht aufnehmen konnten, sind in anderen Krankenhäusern – in den großen Kliniken der Region, die nicht den Status einer Universitätsklinik haben – behandelt worden. Das hat dazu geführt, dass es nach dem Streik noch bis Ende 2022 gedauert hat, bis wir wieder eine optimale Bettenauslastung erreichen konnten.

2022 hat die Universitätsmedizin Essen schnell und unbürokratisch Ukraine-Hilfen auf den Weg gebracht – Hilfsgütertransporte in die Kriegsgebiete, aber auch Transporte von kranken und verletzten Menschen aus der Ukraine nach Essen. Über welche Organisationen und Kontakte kommen die Menschen zu Ihnen?

Schon seit vielen Jahren versorgen wir in Essen Menschen aus der Ukraine, hauptsächlich Patientinnen und Patienten mit bestimmten Augentumoren, darunter sehr viele Kinder. Diese kommen beziehungsweise kamen bisher entweder über Organisationen oder aus Eigeninitiative. Essen ist eine Stadt, in der schon vor dem Angriffskrieg rund 1.500 Ukrainerinnen und Ukrainer lebten. Auch einige unserer Beschäftigten stammen aus der Ukraine. Deshalb war für uns schnell klar, dass wir etwas tun müssen, weil diese Menschen ihre Angehörigen zu sich holten und von großem Leid und von Unterversorgung in der Ukraine berichteten.

So haben wir sehr früh eine Aktion gestartet, Menschen aus der Ukraine, die medizinischer Behandlung bedurften, darunter sehr viele Kinder mit onkologischen Erkrankungen, aufzunehmen und diese entweder bei uns zu behandeln oder auf die Häuser in der Region zu verteilen. Das hat zunächst sehr gut geklappt. Viele dieser Kinder sind dann aber schon nach wenigen Tagen wieder bei uns in Essen gelandet, weil sie für die Behandlung in anderen Kliniken zu schwer erkrankt waren.

Daraufhin mussten wir auch für die Angehörigen, in erster Linie waren und sind es die Mütter und Geschwister der Kinder, versorgen und unterbringen. Dafür konnten wir sehr schnell in Kooperation mit dem Gesundheitsministerium und der Kommune eine Lösung finden.

Im Laufe des Krieges kamen zudem immer mehr Kriegsverletzte nach Deutschland und so auch nach Essen. Diese kommen über Hilfsinitiativen und werden über das sogenannte Kleeblattsystem, das ist ein EU-Katastrophenschutzmechanismus, verteilt. Da in der Ukraine inzwischen die medizinische Infrastruktur in weiten Teilen zerstört ist, erhalten wir in jüngster Zeit darüber hinaus auch viele Anfragen von chronisch kranken Menschen, zum Beispiel von Dialysepatientinnen und -patienten, denen wir selbstverständlich auch Hilfe gewährleisten. Der Ukraine-Krieg ist wirklich eine humanitäre Katastrophe!

Das bedeutete alles also auch wieder eine Mehrbelastung für die Mitarbeitenden …

Ja, aber eine Mehrbelastung, die alle gemeinsam mit großem Engagement bewältigt haben. Ich bin sehr stolz auf unsere Teams, die neben und nach ihrer Arbeit Kisten gepackt und Paletten für die Hilfstransporte der Universitätsmedizin Essen befüllt haben.

Die Maximalzahl an gleichzeitig versorgten Kindern aus der Ukraine betrug 45. Die Mütter haben wir mit ihren weiteren Kindern in unserem Wohnheim untergebracht. Dort leben aktuell immer noch 30 Familien, die wir versorgen. Wir stellen auch psychiatrische Hilfe zur Verfügung. Außerdem haben wir Dolmetscherinnen eingestellt, häufig sind dies ukrainische Ärztinnen und Krankenschwestern, die in Deutschland – noch – nicht in ihren erlernten Berufen arbeiten dürfen. Rund 25 Frauen, die wir angestellt haben, möchten wir jetzt in ihren Beruf zurückbringen und gern auch dauerhaft einstellen, wenn sie bleiben wollen. Wollen sie nach dem Krieg wieder in ihr Heimatland zurückgehen, wäre dieses Aus- und Weiterbildungsangebot ein guter Beitrag zum Wiederaufbau des Landes und ein Zeichen guter Gastfreundschaft.     

Wie finanzieren diese Menschen Ihre Behandlungen, beziehungsweise wie werden die Behandlungen an der Universitätsmedizin Essen finanziert?

Hier spielt die Stiftung Universitätsmedizin eine wichtige Rolle. Über die Stiftung werden die Lieferungen des medizinischen Materials in die Ukraine und Spendenaktionen organisiert. Aus den Spenden finanzieren wir auch alle Zusatzleistungen hier vor Ort – zum Beispiel die Unterbringung und Versorgung der Angehörigen. Bund und Länder sichern die Behandlung von Erkrankten und Verletzten aus der Ukraine in Deutschland ab.

Pandemie und Krieg haben auch Auswirkungen auf die zahlreichen Bauprojekte der Universitätsmedizin Essen. Welche Probleme mussten Sie 2022 und müssen Sie in Zukunft bewältigen?

Bauen war in 2022 eine noch größere Herausforderung als es das in der Pandemie schon war. Materialengpässe und steigende Kosten für Baustoffe haben zu zeitlichen Verzögerungen und zur Steigerung der Baukosten insgesamt geführt, bei einzelnen Materialien und Gewerken sind Kostensteigerungen von 30 Prozent und mehr zu verzeichnen. Da in der Ukraine auch viele elektronische Bauteile gefertigt werden, waren auch medinische Geräte zum Teil nicht mehr erhältlich.

Dennoch sind wir mit dem Neubau der Kinderklinik und dem Neubau des Zentrums für Nuklearmedizin auf einem guten Weg. In der Ruhrlandklinik geht ebenfalls ein Erweiterungsbau Mitte des Jahres in Betrieb.

Und die Universitätsmedizin Essen expandiert noch weiter: Sie haben eine sehr große Immobilie samt Grundstück an der Theodor-Althoff-Straße im Stadtteil Bredeney erworben. Was ist dort geplant?

Wir sind sehr glücklich, dass es uns gelungen ist, an der Theodor-Althoff-Straße ein Objekt mit 21.600 Quadratmetern Bürofläche in einem fünfstöckigen Gebäudekomplex zu erwerben. Wir werden dieses Gebäude jetzt umstrukturieren und zu einem Drittel mit wissenschaftlichen Einheiten, zu einem Drittel für Ausbildungsangebote in der Pflege und zu einem weiteren Drittel für die Verwaltung nutzen. Indem wir unsere Verwaltungsaufgaben vom Hauptsitz des Klinikums in Holsterhausen nach Bredeney verlagern, können wir die freiwerdenden Flächen an der Hufelandstraße dann für klinische Angebote nutzen. Wir finanzieren die Maßnahme über einen Kredit aus Eigenmitteln. Das wird sich sicher rechnen, denn Investitionen in Ausbildung rechnen sich immer.

Vielen Dank für das Gespräch!