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Perspektiven in der Pflege

Ein Gespräch mit Andrea Schmidt-Rumposch, Pflegedirektorin und Mitglied des Vorstands an der Universitätsmedizin Essen

Was waren die größten Herausforderungen im Bereich Pflege im Jahr 2023 an der Universitätsmedizin Essen?

Wie bundesweit alle Kliniken hat auch uns weiterhin die Überwindung des allgegenwärtigen Fachkräftemangels beschäftigt. Zudem haben wir intensiv an der fortschreitenden Digitalisierung in der medizinischen und pflegerischen Versorgung gearbeitet und die Themen Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung in den Fokus gerückt. Die Universitätsmedizin Essen stellt sich den aktuellen Herausforderungen mit ihrem Bekenntnis zu Werten eines Smart Hospitals, eines Green Hospitals und eines Human Hospitals entgegen.

Sie konnten 2023 einen Personalaufbau von fast 150 neuen Mitarbeitenden bewirken. Wie ist Ihnen das gelungen?

Um die Attraktivität der Arbeitsbedingungen und die Sichtbarkeit der Pflege zu erhöhen, ist die Universitätsmedizin Essen auch 2023 ihrem Anspruch gerecht geworden, pflegerische Versorgungsstrukturen auszubauen und allen Pflegefachpersonen eine individuelle berufliche Weiterentwicklung zu ermöglichen.

Wir konnten das seit 2018 etablierte Konzept zum Einsatz von Advanced Practice Nurses (APN) und Pflegeexpert:innen (PEX) mit erweiterten Pflegetätigkeiten ausweiten. Die Einsatzgebiete für diese hochqualifizierten Pflegefachpersonen ergeben sich aus den fachlichen Schwerpunkten der Universitätsmedizin und aus dem individuellen Bedarf der klinischen Fachbereiche – mittlerweile sind APN und PEX in über zehn Fachbereichen tätig, beispielsweise in der Onkologie und Palliative Care, dem Ernährungs- oder Delirmanagement. Ziel ist stets eine individuelle und bedarfsgerechte, interprofessionelle Patientenversorgung unter Einbezug einer evidenzbasierten Pflegepraxis.

Zudem haben wir verschiedene Traineeprogramme für interessiertes Fachpersonal etabliert: das Traineeprogramm Intensivpflege sowie das Traineeprogramm Onkologische Pflege. Aufgrund des großen Erfolgs wurde das Angebot nun um jeweils ein Traineeprogramm für Leitungspersonen und für Bachelorabsolvent:innen in der Pflege erweitert.

Stichwort „Smarte Pflege“: Welche digitalen Hilfsmittel entlasten das Pflegepersonal bereits heute an der UME?

Als Basis für alle digitalen Prozesse ist an der Universitätsmedizin Essen die elektronische Patientenakte (ePA) flächendeckend in allen Allgemeinpflegebereichen etabliert. So können wir inzwischen den gesamten Pflegeprozess, von der Anamnese über die Risikoerfassung bis zur Evaluation, komplett digital abbilden. Pflegefachpersonen benutzen dazu Tablets; dies erleichtert beispielsweise auch Tätigkeiten wie die Wunddokumentation durch vereinfachte Wundfotografie. Die Nachversorgung von Patient:innen wird mittels einer digitalen Entlassplattform organisiert, auch die Daten für den interprofessionellen Entlassprozess werden der ePA entnommen.

Sie nutzen auch verschiedene technische Assistenzsysteme, können Sie dazu ein Beispiel nennen?

Wir nutzen beispielsweise eine spezielle Bettensensorik, die pflegerelevante Daten zur Dekubitus- und Sturzprävention liefert. Pflegefachpersonen interpretieren dazu die dargestellten Bewegungsprofile und erfassen mögliche Risiken aufgrund ihrer pflegerischen Fachexpertise.

Auch Künstliche Intelligenz bietet vielversprechende Möglichkeiten für den klinischen Einsatz. Wie sieht die Zukunft der Pflege KI-gestützt aus?

Die Universitätsmedizin Essen beteiligt sich an pflegerelevanten KI-Forschungsprojekten. Das BMBF-geförderte Projekt KIADEKU zum Beispiel hat zum Ziel, KI-gestützte digitale Bildanalysen zur Beurteilung von Dekubitus und Inkontinenz-assoziierter Dermatitis via App zu liefern. Die KI-basierte Entscheidungshilfe reduziert zukünftig Fehlbehandlungen und Komplikationen und verbessert die Behandlung der Patient:innen. Administrative Prozesse in der Pflegeversorgung werden optimiert und Pflegefachpersonen entlastet.

Im Rahmen der Initiative SmartHospital.NRW arbeiten wir an KI-gestützten Gesundheitsdatenanalysen zur Früherkennung und Risikobewertung von pflegerelevanten Risikofaktoren wie Sturz, Dekubitus, Schmerz, Delir oder Pneumonie.

Im Rahmen des Forschungsprojekts DigiCare wird eine App entwickelt, die onkologisch-erkrankte Patient:innen innerhalb einer intersektoralen Versorgungsstruktur in ihrem Selbst- und Symptommanagement unterstützt.

Was muss sich politisch und gesellschaftlich noch verändern, um die guten Ansätze, die es an der Universitätsmedizin Essen und einigen anderen Kliniken bereits gibt, noch breiter ausrollen zu können?

Die Versorgungsstrukturen Deutschlands bedürfen dringend einer Weiterentwicklung; Überkapazitäten, unzureichende Konzentration und Spezialisierung müssen überwunden werden; Sektorengrenzen sind noch immer ein großes Hindernis. Wir haben erhebliche Variationen bei den Dokumentationsstandards, immer wieder gibt es Versorgungsbrüche. Interoperabilität ist für alle Berufsgruppen im medizinischen Bereich wichtig, eine zielgerichtete Entwicklung kann nur gemeinsam mit allen Akteur:innen gelingen.

Nicht zuletzt ist eine Weiterentwicklung und Neuverteilung der Aufgaben- und Tätigkeitsfelder in den medizinischen Professionen notwendig – für einen geeigneten Skills-/Grade-Mix mit unterschiedlichen Aufgaben auf verschiedenen Qualifikationsstufen und der Etablierung neuer Rollen nach internationalem Vorbild.

Gesundheitsfachpersonal profitiert von der Digitalisierung, sieht sich durch sie aber wandelnden Anforderungsprofilen gegenüber. Es muss daher sichergestellt werden, dass Pflegefachpersonen über die notwendigen digitalen Kompetenzen verfügen, um beispielsweise mit Gesundheitsdaten und KI-Empfehlungen kritisch reflektiert umgehen zu können. Notwendig sind Qualifizierungen und curriculare Anpassungen in allen Segmenten der Ausbildung.

Was sind Ihre persönlichen Wünsche für die Zukunft?

Mich persönlich treibt sehr an, dass wir unseren Arbeitsalltag noch stärker auf die Patient:innen ausrichten. Zukünftig muss Gesundheitspolitik vermehrt in den Fokus gerückt werden. In erster Linie geht es insbesondere um Prävention, Gesundheitskompetenz, Gesundheitsförderung und um Gesundheitsschutz mit dem Ziel, Gesundheit und Lebensqualität eines jeden Einzelnen und der Gesellschaft zu verbessern beziehungsweise zu erhalten.

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